Gestern habe ich durch Zufall einen Forenbeitrag zu einer Veranstaltung eines Kollegen gelesen. Die Verfasserin war offensichtlich jemand, der einen kostenlosen Seminarplatz erhalten und bislang wenig Kontakt mit der positiven Verstärkung hatte. Ich fand es interessant zu lesen, wie die Inhalte auf sie gewirkt haben. Der Satz, der mich fast die gesamte Nacht beschäftigt hat war, dass die Verfasserin die Worte des Dozenten anzweifelte, dass eine Strafe immer Angst auslöst. Stattdessen wäre es so, dass gut aufgebaut, die Strafe nicht immer Angst auslösen muss. Sie werde weiter so trainieren. Ihr Hund habe sich nach dem Training über positive Verstärkung extrem aufgeregt verhalten, auch in einer Art und Weise wie er es zuvor nie gezeigt hat. Das hat sie darin bestärkt, dass das Training ihrem Hund nicht gut tut.
Mal Schimpfen, mal Leckerli, kann das gut gehen?
Tatsächlich ist es so, dass Cross-over Hunde, das sind Hunde, die manchmal mit Belohnungen und manchmal mit Strafen trainiert werden, häufig mit starker Aufregung auf den wechselnden Erziehungsstil reagieren. Das kann sich in Bellen, Unruhe oder auch durch ein vermehrtes Zerstören von Gegenständen äußern. Warum ist das so?
Hunde sind Meister im Beobachten von uns Menschen. Sie können unsere Stimmungen an unserer Körpersprache ablesen und scheinen meistens viel früher zu wissen, was wir als nächstes tun werden. Dieses ständige Beobachten ist für alle Beteiligten sehr anstrengend. Energiesparender ist es sich drauf einstellen zu können, dass der Gegenüber in bestimmten Situationen immer ähnlich oder gleich reagiert. Der Hund weiß „Aha in dieser Situation hat sich mein Mensch die letzten 50 mal so verhalten, also wird er sich wahrscheinlich die nächsten 50 male auch so verhalten. Das nennt sich Erwartungssicherheit. Erwartungssicherheit reduziert Stress, weil eine Situation nicht ständig neu beurteilt werden muss, sondern der Hund sich sicher sein kann, dass der Mensch ruhig und gelassen reagiert und von ihm keine Gefahr ausgeht.
Hunde, die in bestimmten Situationen, z.B. beim Training mit Strafen rechnen müssen und diese bereits erlebt haben, werden sehr darauf bedacht sein diese unangenehme Erfahrung zu vermeiden. Sie werden ständig Ausschau nach frühen Anzeichen für Strafe halten. Selbst wenn der Mensch ohne verbale Warnsignale für eine sich anbahnende Strafe arbeitet, sendet er meistens unbewusst körperliche Signale aus, die der Hund mit der Strafe verknüpft und dann schon früh auf diese körperlichen Signale mit Vermeiden reagiert. Auch wenn sich das für den Hund alles andere als gut anfühlt, so hat er doch durch die Beobachtung des Menschen eine gewisse Erwartungssicherheit erarbeitet. Er weiß, was als nächstes kommt und stellt sich darauf ein.
Kommt es jetzt zum „Cross-over“ also verhält sich der Mensch plötzlich komplett anders, unter Umständen sogar gegensätzlich zu dem was der Hund vorher beobachten konnte, dann steigert das die Unsicherheit des Hunde stark. Was passiert mit mir als nächstes? Geht es mir an den Kragen, wird gleich die Rütteldose geschmissen oder kommt mein Mensch doch nur um mir ein Futterstück zu geben? Der Hund ist alarmiert und lebt in einem Zustand ständiger Unsicherheit und Anspannung.
Was er zuvor gelernt hat und worauf er sich eingestellt hat, ist plötzlich nicht mehr richtig. Er muss sich neu zurecht finden. Das kostet Energie und löst Stress aus. Hunde, die auf diese Weise immer wieder zwischen verschiedenen Erziehungsstilen hin und her wechseln müssen, erbringen eine enorme Anpassungsleistung. Trainiert man also seinen Hund zumeist mit Strafe und wechselt dann für einen Seminarbesuch zu einer anderen Erziehungsmethode, ist die Beobachtung, dass der Hund danach sehr unruhig ist, vermehrt bellt oder sogar etwas zerstört, kein Wunder, sondern eine erwartungsgemäße Reaktion.
Der Zusammenhang zwischen Strafen und Angst
Sollte man deshalb bei seinem strafenden Erziehungsstil bleiben? Meine klare Meinung:
Auf keinen Fall. Und damit möchte ich mich gerne der These zuwenden, dass Strafen, wenn sie richtig aufgebaut sind, keine Angst auslösen.
Strafen sind auf Basis der Lerntheorie negative Konsequenzen. Negative Konsequenzen lösen immer negative Emotionen aus ansonsten wären es keine negativen Konsequenzen. Strafen sollen Verhalten hemmen, d.h. die Strafe erfolgt, der Hund möchte, dass diese unangenehme Erfahrung aufhört und verändert sein Verhalten, hört mit dem auf was er gerade tut. Setzt eine Strafe ein und der Hund hört nicht mit seinem Verhalten auf, dann war die Strafe nicht wirksam. Eine Anforderung an einen sachgemäßen Umgang mit Strafen ist demnach: Ich müsste um wirksam mit Strafen zu arbeiten diese auch immer so auswählen, dass sie auch direkt wirkt, ansonsten tue ich meinem Hund einfach nur Gewalt an ohne ein Lernergebnis zu erzielen (der Hund lernt trotzdem, nämlich nicht mit seinem Verhalten aufzuhören, sondern, dass der Mensch gefährlich ist).
Strafen können auf unterschiedlichen Ebenen wirken: Sie können Angst durch Schmerzen auslösen, also auf körperlicher Ebene wirken, wie es z.B. bei Stromhalsbändern (verboten) oder Stachelhalsbändern (verboten), Zwicken, Kneifen oder Treten der Fall ist. Auch ein Hund der am Halsband nach oben gezogen wird, erfährt Schmerz und Angst um sein Leben (Luftnot) als negative Konsequenz. Strafen können auch als Schreckreize auf psychischer Ebene wirken. Der Hund erschrickt sich und Angst wird ausgelöst. Darunter fallen z.B. die Rappeldose, Wurfdiscs oder die Wasserspritzpistole. Auch das berühmte „sich mal eben verstecken damit der Hund aufmerksam wird“ löst Angst aus und wirkt als Strafe für’s nicht aufmerksam sein. Eine weitere Art von Strafe wirkt auf der sozialen Ebene, wie das sehr lange komplette Ignorieren des Hundes oder die gezielte Trennung von Rudel und das Wegsperren auf ein bestimmtes Verhalten hin.
Klassische Konditionierung und negative Emotionen
Die Strafe kann direkt mit einem Reiz verknüpft werden, der zuvor keine Bedeutung hatte. Eines meiner einschneidensten Erlebnisse hatte ich ganz zu Beginn meiner Hundehalterzeit. Ich hatte meinen Hund Tiger vor wenigen Tagen aus dem Tierheim übernommen, da besuchte uns ein Bekannter mit seinem altdeutschen Schäferhundrüden. Ein sehr imposantes und elegantes Tier mit dem er auch im Objektschutz tätig war. Wenn er sich bewegte, wirkte er sehr stolz und kraftvoll… bis sein Herrchen den großen Schlüsselbund einmal in seiner Hand hoch und runterspringen ließ, dieses Kling-Kling, wenn viele Schlüssel aneinanderrasseln, das kennt ihr bestimmt: Da sackte dieser große stolze Rüde nach unten und kauert sich auf dem Boden zu einem Häufchen Elend zusammen, dass es mir das Herz brach. Das Geräusch des Schlüsselbundes war direkt mit der Strafe verknüpft. Der Hund hat jegliche Handlung eingestellt sobald das Geräusch ertönt ist, um die Strafe zu vermeiden. Ohne diese negative Konsequenz hat das Geräusch eines Schlüsselbundes für die meisten Hunde garkeine Bedeutung.
Anhand dieses Beispiels wird der hemmende Effekt von Strafe besonders deutlich: Obwohl in voller Bewegung, bremste dieser Rüde quasi in der Luft und ließ sich nach unten zusammenfallen. Freiwillig regte er sich nicht mehr. Die Emotion, die er empfand, stand ihm ins Gesicht geschrieben: er hatte Angst, Angst davor was nach dem Geräusch des Schlüsselbundes passieren könnte und um das zu vermeiden, entschied er sich lieber garnichts mehr zu machen.
Mit diesem Anblick war mir klar: Das will ich für mich und meinen Hund auf keinen Fall, obwohl mein eigener Hund diesem Kerl in Größe und Kraft ins nichts nachstand und so manchen anderen Rüde gerne auf eine Entfernung von mehreren 100 Metern verprügelt hätte.
Neben all den ethischen und tierschutzrelevanten Aspekten von Training über Strafe ist das für mich einer der schwerwiegensten Gründe warum ich die Arbeit mit Strafen ablehne: Die Strafe sagt dem Hund nicht was er als nächstes tun soll. Sie hemmt ihn und kann ihn bis in einen Zustand, der der Depression ähnlich ist treiben: Die erlernte Hilflosigkeit. Das sind Hunde, die so stark aus Angst vor Strafe gehemmt sind, dass sie lieber garnichts mehr tun als etwas vermeintlich falsches zu tun und nahzu keine Eigeninitiative mehr zeigen. Sie haben gelernt, dass es am sichersten ist nur auf Anweisung zu handeln. Die Einschränkung der Lebensqualität dieser Hunde ist enorm, auch wenn sie auf viele als der ideale und brave Begleitung wirken.
Fazit:
1. Strafen schaden deinem Hund, denn sie wirken immer als negative Konsequenzen und lösen damit zwangläufig Angst aus.
2. Sie schaden eurer Beziehung, denn dein Hund wird dich und deine Anwesenheit mit der Strafe verknüpfen. Statt einer vertrauensvollen Beziehung ist dein Hund in einem Alarmzustand.
3. Cross-over Hunde bei denen mal so mal so gearbeitet wird sind davon besonders betroffen und können durch den erhöhten Stresslevel allerhand stressbedingte Verhaltensweisen entwickeln, wie vermehrtes Bellen, starke Aufregung und Zerstören von Gegenständen oder des Autos.