Ich laufe - ein bisschen wie ferngesteuert dieser Tage - in den Garten, denn die Sonne zieht mich an. Ich setze mich auf den Rand des Liegestuhls und mein Blick fällt auf ein kleines zotteliges Etwas, das mal ein Spielzeug war. Manche würden sagen, das gehört doch eigentlich nurnoch in den Müll, aber für mich ist es ein wertvolles Stück Besitz. Ich greife danach, drehe es ein wenig in meiner Hand und betrachte es von allen Seiten. Erst einige Sekunden später bemerke ich, dass mir Tränen über die Wangen rinnen. Dumpf dringt an mein Ohr wie meine Nachbarn quasselnd ihre Liegestühle sauber schrubben und für den Einsatz in der Sonne bereit machen. Ich denke mir, für sie geht das Leben einfach weiter, während es für mich einen weiteren traurigen Moment still steht. Du fehlst.
Der Tod eines Hundes ist der Moment vor dem ich mich als Hundehalterin immer fürchte und wahrscheinlich auch immer fürchten werde, denn sie leben nuneinmal nicht so lange wie wir Menschen und ein Abschied ist daher unausweichlich.
Dieser Blogartikel entsteht, da ich am 20.05.2020 tief in der Nacht meine geliebte Freundin Maja verloren habe.
Bedauerlicherweise habe ich etwas Übung im Abschiednehmen. Im Jahre 2017 ist mein 13jähriger Hund Tiger verstorben. Wir hatten 12 gemeinsame Jahre und waren wie Arsch auf Eimer. Im Jahr 2018 ist dann meine Seelenhündin Paula an einer schweren Erkrankung im Alter von 10 Jahren gestorben. Und nun im Jahre 2020 musste ich Abschied von meiner Freundin Maja nehmen, die auch geschätzt etwas über 10 Jahre alt war (sich aber nie so benommen hat).
Jeder diese Abschiede hatten sehr unterschiedliche Hintergründe und Begleitumstände. Aber ich muss sagen, dass ich alle Abschiede im Anfangsstadium, in dem ich mich auch gerade wieder befinde, sehr ähnlich angefühlt haben.
Die Entscheidung zum Abschied
Alles beginnt für viele Hundehalter meistens mit der Entscheidung zum Abschied. Keiner meiner Hunde ist einfach im Schlaf auf die andere Seite gewechselt. Wir hatten immer einen
Tierarzt da, der die Entscheidung mit mir gemeinsam getroffen hat. Bei Tiger konnte ich den Tierarzt im Notfienst nachts zu mir nach Hause rufen. Bei Paula mussten wir zum Tierarzt selbst hinfahren, aber sie konnte in ihrem geliebten Auto stressfrei einschlafen. Maja ist in einer Klinik aber in meiner Anwesenheit mit tierärztlicher Hilfe gestorben.
Diese Entscheidung ist mit die Schwierigsten in jedem Hundehalterleben. Gerade wenn die Hunde alt sind oder bereits Vorerkrankungen haben und man sich mit dem Gedanken, dass die gemeinsame Zeit endlich ist anfreunden muss, stellt man sich ständig die Frage "Werde ich den richtigen Zeitpunkt erkennen?". Die Unsicherheit, die damit einhergeht, ist sehr belastend. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich berichten, dass es sich lohnt sich einen Plan zurecht zu legen und dann einen Tierarzt des Vertrauens auf die eigenen Wünsche anzusprechen. Für Tiger war es mir zum Beispiel sehr wichtig, dass der Tierarzt im Notfall zu mir nach Hause kommt. Allein aus logistischen Gründen, Tiger hatte ein Stockmaß von 70 cm mit einem Gewicht von ca 35 kg und ich wäre nicht in der Lage gewesen ihn ins Auto oder in eine Praxis zu tragen. Abgesehen davon war es mir wichtig, dass Tiger in seinen letzten Momenten nicht mit den Gerüchen und der Angst, die er in der Artzpraxis empfunden hat, ringen muss. Ich wollte, dass er möglichst ruhig und in Frieden Abschied nehmen kann. Dafür eignet sich der Tierarztbesuch zu Hause finde ich am besten.
Die Wünsche, die man an den Tierarzt hat, können sehr individuell sein und genauso würde ich das auch besprechen. Wenn der eigene Tierarzt keine Hausbesuche, vor allem auch zu nächtlichen Zeiten, anbietet, dann lohnt es sich bereits mögliche Tierkliniken oder mobile Arztpraxen durchzutelefonieren und sicherzustellen, dass im Falle des Falles für alles gesorgt ist und man in dieser wirklich außerordentlich schwierigen Situation nicht auch noch mit solchen Überraschungen kämpfen muss.
Zu der Frage selbst "Woran erkenne ich, dass es der richtige Zeitpunkt ist" gibt es meine Meinung nach keine pauschale Antwort. Ich hatte immer den Anspruch an mich, dass keiner meiner Hunde unnötig leiden muss, nur weil ich keinen Abschied nehmen kann. Ich stelle dem Tierarzt sehr direkte Fragen bezüglich des Zustandes und der Prognose meines Hundes. Diese Fragen kann man sich auch vorher aufschreiben und in den eigenen Geldbeutel legen damit man sie zur Hand hat, wenn man in der Situation selbst verständlicherweise komplett durch den Wind ist. Ich hatte das große Glück, dass für mich der Moment des Abschieds immer sehr klar war und ich Menschen anrufen konnte, die mir meinen Eindruck bestätigt haben. Ich war nie in der Lage, dass ich mit dem Zeitpunkt meiner Entscheidung hadern musste.
Trauern als Prozess des Abschiednehmens
Meine Hunde sind bislang alle drei für immer in meinen Armen eingeschlafen. Dieser Moment des endgültigen Abschieds ist sehr schmerzhaft und schrecklich aber nicht nur für den Hund, sondern meiner Meinung nach auch für den Menschen der zurück bleibt, sehr wichtig. Es ist wichtig ihnen die guten Gedanken mitzugeben. Ihnen nocheinmal zu sagen wie sehr sie geliebt werden und es sie spüren zu lassen. Alle Tierärzte konnten es bislang ermöglichen, dass ich meinen Hunden nocheinmal all das sagen konnte, was ich ihnen sagen wollte. Es ist wichtig, dass sie spüren, dass sie nicht alleine gehen. Es ist wichtig für uns auszusprechen was wir fühlen und zu erleben, dass jetzt unsere gemeinsame Zeit vorrüber ist.
Wenn ich an diese Momente denke, dann schießen mir sofort die Tränen in die Augen ganz egal wie lange es her ist. Es sind keine schönen Momente aber sie sind wichtig und ich würde mich im Leben nie dazu entscheiden den Tierarzt und mein Tier in diesem Moment alleine zu lassen. Andere Menschen mögen das anders erleben, für mich ist es wichtig.
Nachdem der Hund gegangen ist, bleibt man alleine zurück. Es ist tröstlich, wenn man dann Menschen um sich hat damit man mit dem ersten Schmerz nicht alleine ist. Meistens muss man sich auch recht rasch entscheiden wie die weiteren Schritte sind. Ich habe einen meiner Hunde selbst am nächsten Tag ins Krematorium gefahren. Ich hatte das Gefühl, dass ich es tun muss und das kein anderer für mich tun kann. Meine beiden anderen Hunde wurden von einem Abholdienst ins Krematorium gebracht. Bislang habe ich noch keinen meiner Hunde beerdigt. Warum? Diese Frage stelle ich mir selbst immer wieder. Die Vorstellung die körperlichen Überreste meines Hundes unter dunkler Erde begraben zu wissen, erschreckt mich irgendwie und ich würde mich an den Ort gebunden fühlen. Diese Gedanken fühlen sich für mich nicht gut an deshalb habe ich mich immer dagegen entschieden.
Andere Menschen haben einen Garten oder sind sehr eng mit ihrem Wohnort verbunden, so dass sie sich dabei wohl fühlen ihren Hund zu begraben anstatt ihn einäschern zu lassen. Jede Variante ist richtig solange sie sich für die die Zurückbleiben gut anfühlt. Meiner Erfahrung nach hilft sie beim Trauerprozess.
Dieser erste Schmerz nach dem Abschied ist manchmal gepaart mit Erleichterung, wenn der Hund vorher sehr leiden musste und man in der Tiefe seines Herzens bereits spürt, dass dieser Abschied für den Hund auch eine Erlösung darstellte, während man selbst in einem immens tiefem Schmerz zurückbleibt. Ich denke wer diesen Schmerz einmal gespürt hat, wird ihn nie wieder vergessen. Während die Verzweiflung Überhand nimmt, kommen bei mir meistens Schuldgefühle darüber hoch wie es überhaupt soweit kommen konnte. Ich stelle alle meine Entscheidungen in Frage und in Gedanken gehe ich jede einzelne Situation nocheinmal durch und kreise um meine eigenen Entscheidungen. Was wäre wenn... Diese Gedanken schaffen sehr viel Leid, das sich an den eigentlichen Trennungsschmerz anhängt, sich mit ihm vermischt und manchmal kann man das eine vom anderen nicht mehr unterscheiden, weil es eine dunkle Suppe ist, die durch das eigene Gehirn schwappt.
Fakt ist aber, während Schmerz durchlebt werden muss, kann Leid verhindert werden. Das schreibt und sagt sich so leicht. Ich bin zugegebenermaßen besonders schlecht darin, weil ich dazu tendiere um meine eigenen Gedanken zu kreisen und sich das Leid damit weiter vermehren und mich tief runter reißen kann. Ich will perfekt sein, ich will perfekte Entscheidungen treffen, ich will, dass sich alles richtig anfühlt und keine "ach hättst du doch.." Gedanken in meinem Kopf rumschleichen. Dieser Wunsch ist aber nicht nur reine Illusion, es ist auch eine gefährlich, weil die Gedankenskette die sich daran hängt eigentlich nur nach unten führen kann. Ich bin nicht perfekt, ich mache Fehler. Ich vertraue manchmal den falschen Menschen und ich kann nicht alles selbst wissen. Ich bin daher auf andere angewiesen und wenn andere Menschen dann einen Fehler machen, dann kann ich schlichtweg nichts dafür. Diese Erkenntnis auszusprechen ist das eine, sie auch zu fühlen ist das andere.
Als mein Hund Tiger starb, habe ich mich intensiv mit dem Thema Trauer befasst. Die Trauer hat mich im wahrsten Sinne des Wortes fast aufgezehrt, da ich nicht mehr essen konnte. Trauer macht den Magen zu, für mich traf das zu.
Trauer ist ein Prozess des Abschiednehmens, der bei jedem Menschen sehr unterschiedlich aussehen kann, deshalb machen Angaben wie lange zu trauern "normal" ist auch nicht viel Sinn. Nicht ungewöhnlich ist eine Trauerzeit von einem Jahr, wobei die Trauer mehreren Phasen durchläuft, die aber nicht bei jedem Menschen in der gleichen Reihenfolge auftreten müssen. Mir hat diese Erkenntnisse, dass ich soviel Zeit haben kann wie ich brauche, sehr geholfen mich etwas freier in meiner Trauer zu fühlen. Ebenso hat mir geholfen zu erfahren, dass das eine Jahr meistens damit zusammenhängt, da man alle Stationen des Jahres nocheinmal neu erlebt und sich erinnert wie es mit dem damaligen Hund so war und wie es vielleicht abgelaufen wäre. wenn er noch leben würde. Die Erinnerungen und die Erkenntnis, dass es "nie wieder" so sein wird, sind sehr schmerzhaft, aber ein Teil des Abschiednehmens. Diesen Schmerz zuzulassen hat mich sehr viel Kraft gekostet, da ich ihn immer wieder niedergekämpft habe. Mein Umfeld war der Meinung, dass nach 2 Tagen eigentlich doch schon wieder alles in Ordnung sein müsste. Ist doch nur ein Hund. Auch meine Hausärztin war dieser Ansicht und fragte mich, ob ich schon einen neuen Hund hätte. Das verletzt und ich dachte ich muss meinen Schmerz unterdrücken. Ich habe mühsam gelernt, dass das nicht so ist.
Auch der Umgang mit der Trauer selbst ist ganz unterschiedlich. Mein Lebensgefährte hat die ersten vergangenen Tage ohne Maja sehr viel mitgeweint. Am zweiten Tag sagte er, er habe keine Tränen mehr, auch wenn er noch unendlich traurig sei, während ich weiter wie ein Schlosshund geheult habe. Sollte ich jetzt wütend oder enttäuscht sein? Sollte er mich als übertrieben traurig betiteln? Nein. In diesem Sinne sind wir unterschiedlich und es ist auch in Ordnung so.
Auf das sehr intensive Schmerzerlebnis der ersten Tage und auf den massiven inneren Widerstand "Es darf nicht sein, dass sie nie wieder bei mir sein wird.", folgt bei mir meistens eine Phase der Erschöpfung und der Leere in der ich das Gefühl habe garnichts mehr zu fühlen und zu nichts mehr fähig zu sein. Gelingt es mir in dieser Phase meine Gedankenkaruselle zu stoppen, fühle ich mich oft stundenweise besser. Gelingt es mir nicht, falle ich viel häufiger in Gefühlszustände von starken Schmerzen zurück. Wenn dieser Prozess nicht zu lange anhält, hat er sich für mich als "in Ordnung" erwiesen. Ich habe ihn als Teil meiner Persönlichkeit und meiner Art zu trauern akzeptiert. Hier helfen mir Gespräche, auch wenn sie "nur" über das Internet stattfinden immer sehr weiter. Gerade wenn Menschen dabei helfen können Schuldgefühle und Gedankenkonstrukte abzubauen, ist das sehr erleichternd. Ich kann plötzlich nicht nur rational sagen "Mich trifft keine Schuld.", sondern ich kann das Gefühl auch greifen. Nicht so fest, dass es zu mir gehört aber immerhin bekomme ich einen Eindruck davon wie es sich anfühlen könnte mich nicht mehr schuldig zu fühlen.
Ganz besonders haben mir zwei Ratschläge, die ich in den letzten Tage erhalten habe geholfen:
Wenn du dich in einem Gedanken festbeißt und merkst, dass du nicht weiter kommst, was gerade bei den "was wäre wenn"-Gedankenkonstrukten sehr schnell und oft der Fall ist, dann frage dich: "Ist das wirklich so? Kann ich mit 100%iger Sicherheit sagen, dass es so ist?" Ich bleibe dann häufig mit einer großen Unsicherheit und Leere zurück aber das Leid, das diese Gedankenkonstrukte "Hätte ich eine andere Entscheidung getroffen, dann wäre sie noch am Leben.", verursachen, ist gelindert. Die Gedankenkonstrukte werden quasi demontiert.
Der zweite Impuls hat mir sehr gut dabei geholfen mit Gefühlen wie Wut umzugehen, die mir viel Angst gemacht haben. Maja ist keines natürlichen Todes, sondern in Folge einer Operation gestorben. Dabei spielt menschliches Versagen eine Rolle. Ich spürte neben dem Abschiedsschmerz eine unbändige Wut auf diesen anderen Menschen in mir. Letztlich auch Wut auf mich selbst. Mich hat dieses Gefühl erschreckt. Ein hilfreicher Ratschlag war meine Emotionen als Gäste eines Gasthauses zu betrachten. Ich bin das Gasthaus, ich bin nicht diese Emotion. Die Emotion kann zu Gast sein, ich kann sie wahrnehmen, sie kann eine Weile bleiben, wieder weiterreisen... Dieses Bild von mir als Gasthaus und dass mich diese Emotionen nicht ausmachen, hat mir sehr geholfen mit ihnen umzugehen und sie nicht abzuweisen oder mich zu schämen, sondern einfach sein zu lassen.
Verzweiflung, Angst, Schmerz, Wut, Zweifel, Enttäuschung... all das gehört für mich zum trauern dazu. Aber auch Einsicht, Abstand, Verzeihung und Liebe. Bereits am Tag nach ihrem Tod habe ich damit begonnen aufzuschreiben, was ich an meiner Maja besonders geschätzt und geliebt habe und ich habe mir eines ihrer zahlreichen Bilder ausgesucht auf welchen sie so strahlt und das nun auch ihre Urne ziert. Ich wollte sie nicht mit dem letzten Bild das ich aus der Klinik von ihr hatte in Erinnerung behalten, denn das war einfach nur schrecklich. Ich wollte die Erinnerung an all die wundervollen Charakterzüge, Eigenschaften und Momente lebendig erhalten, während ihr Körper bereits tot war. Und das will ich immernoch und das will ich für den Rest meines Lebens. Auch wenn sie nur 1,5 Jahre bei mir war. Die Trauer, die ich erlebe ist dieselbe. Sie wurde dem Leben entrissen und anders als meine vorherigen Hunde wurde kein langes Leben und körperliches Leid beendet, sondern sie wurde aus einem gesunden, fröhlichen, aktiven und glücklichen Leben gerissen.
Ich weiß, dass der Moment an den man liebevoll und lächelnd an seine verstorbenen felligen Weggefährten denke kann kommt. Im Moment erscheint er mir jedoch in unendlich weiter Ferne. Und auch das gehört zum trauern dazu, zuzulassen, dass es eine Prozess ist und dass ich jetzt sehr sehr traurig sein darf, dass mein Sonnenschein nicht mehr bei mir ist.
Trauer nimmt oft verschlungene Pfade und man weiß nicht immer, was hinter der nächsten Biegung auf einen wartet.
Im Gedenken an die besten Freunde und Wegbegleiter, die ich mir hätte wünschen können.