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Problemhunde

Nadine Weissheimer • 10. Mai 2020
Als ich damit begonnen habe über den Einstieg in dieses Thema nachzudenken, kam mir ein unlängst zurückliegendes Gespräch in den Sinn. Ich hatte für meinen Hund Grisu eine Anfrage an eine Ostheopatin geschickt und dabei das Wort "Angsthund" verwendet, um die besonderen Anforderungen, die ich an eine Behandlung habe kurz zu umschreiben. Als mich die Ostheopatin zurückrief, wurde mir anhand ihrer Reaktion klar, welches Bild dieses eine kleine Wort in ihrem Kopf erzeugt hat. Sie hatte eine eigene Vorstellung davon was genau ein "Angsthund" ist und hat diese Vorstellung auf meinen Hund übertragen. Ich war ziemlich baff was das in ihren Augen mit meinem Hund gemacht hat.

Als ich mich an diese Situation erinnerte wusste ich, dass ich einen guten Einstieg in dieses Thema gefunden habe. Hunde, die wir als "Angsthunde" bezeichnen, sind in unseren Augen auch oft "Problemhunde". Wenn ich in der Anfrage geschrieben hätte: "Ich habe einen Problemhund, deshalb ..." welches Bild hätte das im Kopf der Ostheopatin wohl von meinem Hund gezeichnet?

Worte sind mächtig.

Sie erschaffen Abbilder, Stempel und Vorurteile, die an meinem Grisu nun haften, nur weil ich dieses eine Wort als Bezeichnung für ihn benutzt haben. Vorurteile sind wörtlich genommen genau das: Ein Urteil ohne vorher gesehen und geprüft zu haben.

Sie entstehen im Kopf unseres Gegenüber ganz automatisch ohne dem Hund je begegnet zu sein. Selbst wenn wir vielleicht etwas ganz anderes unter dem Wort verstehen oder so wie ich, nur die Intention haben die Erklärungen der Umstände abzukürzen, schafft ein einziges winziges Wort  dass auf seiner Stirn in den Augen des Gegenüber eine riesige rote Reklame leuchtet: Ich hab Angst! oder Ich bin ein Problem! Ohne dieses Wort, hätte er die Chance gehabt in der Situation der Begegnung einfach er selbst zu sein und das Beste daraus zu machen ohne, dass der Gegenüber ihn durch die Brille seines Vorurteils sieht. Das bedeutet natürlich nicht, dass ich die Ostheopatin einfach in das offene Messer meines zur Not auch abschnappenden Hundes laufen lasse. Die Erklärung des zu erwartenden Verhaltens meines Hundes ist wichtig damit der Umgang entsprechend angepasst ist. Aber ich hätte eben nicht das Wörtchen "Angsthund" als Stempel verwenden können, sondern beschreiben können worum es sich bei dem Verhalten handelt und welche Anpassungen an unser Verhalten deshalb erforderlich sind.

Ähnliches gilt, wenn wir als Besitzer unseren Hund häufig als Problenhund bezeichnen oder ihn vielleicht sogar so sehen. Worte, selbst wenn es nur Gedanken sind, lösen Emotionen aus und Emotionen werden sehr leicht mit Individuen verknüpft. Der eine Nachbar, der mir die Vorfahrt genommen hat: Wenn ich den das nächste mal sehe, dann gucke ich ihn aber ganz böse an. Das ist vielleicht nur einmal passiert, dennoch werde ich den Nachbarn erstmal mit dem was ich fühlte als er mir die Vorfahrt genommen hat, verbinden. Wenn ich den Nachbarn wieder sehe, kommen diese Emotionen erstmal wieder hoch, ganz egal ob er eigentlich gerade nett lächelt. Als zweite Reaktion kommt mir vielleicht der Gedanke "Mensch, der scheint eigentlich ganz nett zu sein.".

Worte wie "Problem" oder "Angst" lösen keine guten Emotionen aus ganz egal wie sehr man sich anstrengt. Warum entscheiden wir uns sie in Zusammenhang mit unserem Hundefreund zu verwenden? Wir stellen uns damit gleich zwei Beine, denn diese Emotionen hindern auch uns daran unserem Hund offen zu begegnen.

Wer mit negativen Emotionen an eine Sache heran geht, der hat sich quasi gleich zu Beginn einen Arm auf den Rücken gebunden. Aus etwas Schlechtem etwas Gutes entstehen zu lassen, ist viel viel anstrengender als einfach das Schlechte wegzulassen und von einer neutralen Position aus zu starten. Wer zum Sprint auf dem glatten Asphaltboden ansetzt, wird mit Sicherheit leichter vom Fleck kommen als der, der aus der Schlammgrube aus losrennt.

Was möchtest du für dich und deinen Hund? Schlammgrube oder Asphalt?

Wähle die Schlammgrube und bezeichne deinen Hund weiter als Problem- oder Angsthund. Oder du wählst den Asphalt und entschließt dich ab heute deinen Hund ohne Brille an negativen Glaubenssätzen zu begegnen. Beobachte stattdessen was da wirklich vor sich geht: Ein Hund dessen Verhalten nicht in seine Umwelt passt. Ein Hund, der mit Flucht, Rückzug und Vermeidung auf bestimmte Außenreize reagiert. Ein Hund, der sich mit Aggressionsverhalten eine so empfundene Bedrohung vom Leib halten will? Ein Hund, der die Strategie gewählt hat, die sich bislang für ihn am Besten bewährt hat.

Das ist für dich ein Problem? Das ist der Knackpunkt! Das Wörtchen Problem gehört ganz und garnicht zum Wesen deines Hundes. Er ist kein Problem. Was er tut und wie er handelt ist möglicherweise für dich oder für deine Umwelt ein Problem.

Verantwortung übernehmen

Einen Hund als Problemhund zu bezeichnen, bedeutet Verantwortung wegzuschieben und zwar zu dem, der am allerwenigsten dafür kann, deinem Hund. Hunde geraten in für sie problematische Situationen, die sie mit für ihre Umwelt oder uns problematischem Verhalten lösen. Beobachtung beinhalten oftmals bereits eine mögliche Lösung, während unsere negativen Gefühle uns erstmal behindern Lösungen zu finden, wenn wir sie so sehr kultivieren und mit unserem Hund verknüpfen. Die Umwelt kann man verändern. Verhalten kann durch lernen angepasst werden. Und plötzlich wird aus dem weggelassenen Stempel ein Lösungsweg.

Manchmal, eigentlich sogar ganz oft, ist das anstrengend und mit Einschränkungen verbunden. Es ist nicht das was man sich zu Anfangs erhofft, erwünscht oder vorgestellt hat. Aber er ist der Weg, den es sich wirklich wirklich zu gehen lohnt. Am Ende sehen, wissen und fühlen alle soviel mehr und sind wirklich gewachsen, gemeinsam und nicht einer als Problem und der andere eigentlich hilflos.

Ein "Problemhund" hat mein gesamtes Leben umgekrempelt. Ein "Problemhund" hat mich auf diesen Weg des positiven Umgangs mit meinem Hund gebracht. Ein "Problemhund" hat laut herausgebrüllt, dass sie kein Problem ist, sondern wir eines für sie verursachen, das sie nicht anders zu lösen weiß als laut und aggressiv zu werden. Ich bin diesem tollen, lebensverändernden Hund heute noch von Herzem dankbar, dass ich diesen Weg gemeinsam mit ihr gehen durfte. Nein, es war nicht einfach. Ja, es sind viele viele Tränen geflossen. Ich musste mich von manchem Menschen und von vielen Vorstellungen verabschieden, aber ich bin um soviel mehr gewachsen und ich habe mich auf den Weg in ein neues Leben gemacht. Paula ist schon über 2 Jahre tot, aber das was sie mich in den 6 Jahren gelehrt und was ich durch sie verstanden habe, bereichert mich noch heute. Ich kann nur sagen: Danke!
Es gibt keine Problemhunde. Es gibt keine Problemmenschen. Es gibt problematische Situationen und Verhalten, das für die Umwelt und uns problematisch ist. Beides lässt sich ändern und lösen. Packen wir's an anstatt Stempel zu verteilen, die überhaupt garnichts verbessern.
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