Mein Hund, seine Welt und ich
Die Beziehung zwischen Mensch und Hund ist ganz besonders. Natürlich gibt es auch andere Tiere, die zu einer sehr engen Partnerschaft mit dem Menschen bereit sind, aber Hunde sind zu Meistern darin geworden die menschliche Körpersprache zu lesen und sich an unsere Lebensverhältnisse anzupassen.
Oft wird die Qualität der Beziehung zwischen Mensch und Hund daran gemessen wie sehr der Hund sich am Menschen orientiert und "wie gut er hört". Tatsächlich hat beides aber wenig damit zu tun wie gut Bindung und Beziehung sind. Auch mit Gewalt und Druck (physisch oder mental) kann ich einen Hund dazu bringen ständig nach mir zu schauen (schließlich muss er die Gefahr ständig im Auge haben, um Eskalationen vermeiden zu können). Viele Hunde fallen unter aversiven Trainingsmethoden, die den Hund für Fehlverhalten bestrafen, in die sogenannte erlernte Hilflosigkeit. Das ist ein negativer emotionaler Zustand, der einer Depression gleicht. Diese Hunde tun lieber garnichts mehr aus Angst davor etwas falsches zu tun und zeigen wenig bis keine Eigeninitiative mehr. Von einer vertrauensvollen Bindung und Beziehung kann hier keine Rede sein auch wenn der Hund von außen betrachtet "funktioniert". Diese Hunde verbinden mit ihren Menschen eine Geschichte aus Angst, auch wenn sie nicht direkt zitternd in der Ecke sitzen. Solche Hunde wieder in "Handeln" zu bekommen, ist oft keine leichte Aufgabe auch wenn die Menschen oder ihre Lebenssituation sich zum Besseren ändert.
Wenn Orientierung am Menschen und "Gehorsam" keine guten Gradmesser für eine gute Bindung und Beziehung sind, was dann?
Tatsächlich ist gerade Bindung ein komplexes Phänomen. Eine gute Beziehung zwischen zwei Individuen entsteht dann, wenn beide zahlreiche positive Erlebnisse verbindet. Vertrauen kann wachsen, Erwartungssicherheit entsteht. Ich kenne mein Gegenüber, ich weiß was mich mit und bei ihm erwartet. Was zwischen Menschen funktioniert, funktioniert auch zwischen Mensch und Hund.
Die beste Möglichkeit eine gute Beziehung Hund und Mensch zu fördern ist gemeinsam viele schöne Erlebnisse zu teilen. Der Schlüssel ist, dass der Hund den Menschen mit positiven Erlebnissen verbindet.New Paragraph
Wir machen ganz viele schöne Dinge zusammen, aber mein Hund guckt immer noch nicht nach mir, haben wir jetzt eine schlechte Bindung?
Ein ganz klares Nein! Hunde haben unterschiedliche Charaktere und Vorlieben. Sie sind genauso Individuen wie wir. Manche Hunde bauen sehr schnell häufig Blickkontakt mit ihren Menschen auf, andere tun das nicht, bewegen nur ein Ohr und halten so Kontakt mit ihren Menschen.
Ein gezieltes Training macht es bei allen Hunden möglich, dass sie in regelmäßigen Abständen aus ihrer Hundewelt zeitweise aus- und in unsere Menschenwelt einchecken.
Eines dürfen wir nämlich nicht vergessen: Was Mensch und Hund während eines gemeinsamen Spaziergangs wahrnehmen, ist sehr sehr unterschiedlich. Hunde leisten enorm viel, wenn sie sich immer wieder dazu entscheiden aus ihrer Welt der Gerüche aufzutauchen, um mit uns in Kontakt zu bleiben. Umso mehr können wir uns darum bemühen, sie dafür gut zu belohnen.
Welche Rolle spiele ich als Mensch in der Welt meines Hundes?
Wir stellen uns das immer so schön vor: Mensch und Hund gemeinsam in einer Partnerschaft, für den Hund gibt es nichts schöneres als seinen Menschen bedingungslos zu lieben. Tatsächlich sind viele Hunde immer und immer wieder dazu bereit uns Vertrauen zu schenken. Eine Eigenschaft, die ich ebenso erstaunlich wie bewundernswert finde, die es ihnen aber vermutlich ermöglicht das Zusammenleben mit uns zu meistern.
Drehen wir unsere Beachtungen jetzt mal um und sehen uns an was der Mensch zu dieser Partnerschaft beiträgt.
Als Mensch habe ich zuallerst entschieden, dass dieser Hund Teil meiner Familie wird. Der Hund wurde nicht gefragt, er hat dahingehend keine Möglichkeit Ja oder Nein zu unserer neuen Familie zu sagen. Der Hund kann sich - anders als in natürlichen Wolfs-/Hundefamilien in der freien Wildbahn - nicht dazu entscheiden abzuwandern, wenn es ihm aus irgendeinem Grund nicht mehr bei uns gefällt. Er ist unserem Lebensstil ausgeliefert und muss sich in diesem Rahmen irgendwie bewegen und zurecht kommen.
Ich entscheide wie unser Tag verläuft: Wann wir aufstehen, wann der Hund zum ersten mal zum Pullern raus gehen kann, wann Spazieren gegangen wird, wann und was es zu essen gibt, wann der Hund Kontakt zu anderen Hunden/Freunden hat. Wir entscheiden manchmal auch, dass plötzlich ein Überfallkommando an vielen fremden Menschen mitten im Wohnzimmer des Hundes steht usw. Wir haben die Kontrolle über nahezu jeden Aspekt des Lebens unseres Hundes.
Wir sind der Nabel seiner Welt ganz egal ob wir das wollen oder nicht. Und damit kommt jede Menge Verantwortung.
Klar, wir geben uns Mühe dem Hund das beste Futter, die schönsten Spaziergänge, die beste Ausrüstung usw. angedeihen zu lassen. Entscheidend ist für mich aber ehrlich gesagt etwas anderes:
Kontrolle zurückgeben
Jede Entscheidung, die wir für unseren Hund treffen, ist eine Entscheidung, die der Hund nicht selbst treffen kann. Oft einfach aus praktischen Gründen: Wer hat die Möglichkeit dem Hund jederzeit Zugang zu einer Lösestelle zu gewähren? Wenn man das kann, dann ist das meiner Ansicht nach ganz fantastisch, aber für die Lebensumstände der meisten Menschen ist das unrealistisch. Ebenso fällt es häufig schwer den Hund zu fragen was er heute gerne essen möchte. Wenn man Trockenfutter verfüttert, hätte man die Möglichkeit den Hund zwischen zwei unterschiedlich gefüllten Näpfen wählen zu lassen. Klingt jetzt erstmal als würde der Hund die Weltherrschaft an sich reißen, aber erinnern wir uns an unsere obrige Liste an Dingen, die wir für unseren Hund entscheiden und kontrollieren. Die ist bedeutend länger!
Hunde haben sowenig Entscheidungsfreiheiten, dass ich es ganz besonders wertvoll finde nach Gelegenheiten Ausschau zu halten wo der Hund gefahrlos eigene Entscheidungen
treffen kann.
Welche Vorteile hat das?
Eigene Entscheidungen verbessern das Selbstwertgefühl. Gerade ängstliche Hunde oder Hunde, die durch ihre Geschichte in eine erlernte Hilflosigkeit gefallen sind und generell wenig Eigeninitiative zeigen, profitieren enorm davon die Erfahrung zu machen, dass der Mensch auch mal Entscheidungen aktiv abgibt und dass sie eine Situation aktiv gestalten und kontrollieren können.
Eigene Entscheidungen verbessern die Flexibilität des Gehirns. Die Prozesse, die vor einer Entscheidung im Gehirn ablaufen, kann das Gehirn zunehmend auch auf andere Situationen übertragen. Die Chance, dass er so viel effektiver lernen kann, in unserem Sinne gute Entscheidungen zu treffen, ist höher als bei einem Hund, der das nie übt und dann in schwierigen Situationen sofort "funktionieren" soll.
Eigene Entscheidungen verbessern das Gefühl das eigene Lebensumfeld kontrollieren zu können. Dieses Gefühl ist für alle Lebewesen wichtig, um sich wohlzufühlen. Wenn wir uns einer Situation ständig ausgeliefert fühlen, steigt unser Stresspegel an. Wir werden unsicher und fühlen uns nicht mehr so wohl. Wenn der Hund weiß, dass er manche Dinge selbst entscheiden darf, trägt das sehr viel dazu bei das Gefühl Ausgeliefert zu sein zu reduzieren.
Die Wahl lassen, eine kleine Auswahl an Möglichkeiten
Kauartikel auswählen lassen
Den Spaziergang mitgestalten lassen
Die Drei-Minuten-Jagd nach gutem Verhalten
Am Anfang unserer Spaziergänge halte ich mich mit eigenen Signalen soweit möglich zurück. Dafür stelle ich mir meinen Handytimer und gehe für die ersten drei Minuten auf eine Jagd nach gutem Verhalten. Alles was mir gefällt fange ich mit meinem Markersignal ein und lasse unterschiedliche Belohnungen folgen. Hier ist es nicht so sehr, dass der Hund bewusst wählt welche Belohnungen ihm heute gefallen, vielmehr zeigt der Hund mir unbewusst mit welchen Belohnungen und Verstärkern ich heute auf dem Spaziergang wahrscheinlich erfolgreich sein werde. Es gibt durchaus Tage wo die Leckerlis, die ich heute dabei habe garnicht schmecken oder nur mindern beliebt sind. Das merke ich dann recht schnell und kann beispielsweise mehr mit Spielzeug oder Umweltbelohnungen arbeiten.
Es gibt auch Tage da interessiert das Spielzeug überhaupt nicht. Durch diese Übung verbessere ich die Beziehung und Bindung zu meinem Hund ganz enorm, denn ich komme seinen aktuellen Bedürfnissen und Wünschen bereits in den ersten 3 Minuten des Spaziergangs auf die Spur. Nun habe ich den gesamten Spaziergang lang die Chance ihm diese Wünsche und Bedürfnisse anzubieten. Mein Hund wird mich also mit diesem Gefühl der Zufriedenheit direkt verknüpfen, was unsere Beziehung enorm stärkt. Für den Hund wird der Mensch damit zur Quelle seiner Bedürfnisbefriedigung. In seinem Kopf wird die Überschrift "Wenn ich mich an meinen Menschen wende, dann erfüllen sich meine Wünsche und mir gehts richtig gut" immer dicker.
Biete ich dagegen an einem Tag an dem Leckerlis nicht so toll sind, ständig nur diese an, wird sich mein Hund irgendwann nichtmal mehr für mich umdrehen. Warum auch, ich biete ihm ständig etwas an, das er eigentlich garnicht will. Wenn mir ständig jemand Schokolade anbietet, obwohl ich die heute echt nicht mag, dann habe ich auch keinen Grund ständig bei dieser Person rumzuhängen.
Deine kleine Aufgabe zum Schluss
Hunde sind Individuen und nicht jeder Hund ist gleich deshalb betrachte meine Liste bitte nur als Vorschlag. Beobachte dich und deinen Hund während des Alltags, wo sind für euch Potentiale, wo du deinem Hund mehr Entscheidungsfreiheit einräumen kannst?